In der Schule haben wir gelernt, dass der christlich missionierende Mönch Kolumban aus Irland (540-615) zusammen mit Gallus, dem späteren Begründer des Klosters St. Gallen, den Ort Tuggen am oberen Zürichsee besucht habe und dort «Heiden» angetroffen habe, welche «Götzendienst» trieben. Kolumban wollte dem ein Ende bereiten und habe die Kultstätte zerstört. Gallus habe dabei persönlich eine Statue in den Zürichsee geworfen. In unserer Schule wurde das als noble christliche Tat im Dienst des rechten Glaubens dargestellt, als Hinführung der Ungläubigen zu besseren Menschen, denen damit die Aufstiegsmöglichkeit in den Himmel statt ewiger Verdammnis in der Hölle geboten wurde.
Die englische Historikerin Catherine Nixey nahm gewiss nicht dieses historisch unbedeutende Ereignis von Tuggen zum Anlass, ein Buch über die frühen Christen und ihre kulturelle Zerstörungswut zu erforschen («The Darkening Age», deutsch: «Heiliger Zorn – Wie die frühen Christen die Antike zerstörten»). Vielmehr dürften sie die aktuellen islamistischen Kulturverwüstungen dazu angeregt haben. Massive Zerstörung von Kulturgütern, Bücherverbrennungen, Beraubung und gewaltsame Verfolgung bis hin zur Ermordung religiös Andersdenkender – das ist alles nichts Neues, sondern schon von den frühen Christen gegen «Heiden» exzessiv praktiziert worden. Der römische Kaiser Konstantin der Grosse (272-337), der die grosse Christianisierung in seinem Reich einleitete, begünstigte die Christen und insbesondere deren Anführer mit gut bezahlten beamtenähnlichen Positionen. - Das Buch ist äusserst faktenreich und ein Lehrstück gegen Fundamentalismus und für Pluralismus.
Religionen setzen Normen für ein Kollektiv. Sie neigen damit zu Rigidität. Das tun sie umso mehr, wenn Religionsführer und -verwalter Privilegien geniessen und ihre Anhänger mit Privilegien begünstigen können. Das ist heute bei uns kaum mehr der Fall, was wohl auch ein Grund ist für den Bedeutungsverlust unserer Religionen.