Licht aus dem Osten

Das ist der Titel des Buches von Peter Frankopan, Historiker an der Universität Oxford. Ein umfangreicher Wälzer mit über 800 Seiten und sehr lesenswert.

Um was geht es? Wenn man sich die bildlich-grafischen Darstellungen von Flugverbindungen einzelner Fluggesellschaften vor Augen hält, so sieht man den Heimatflughafen der betreffenden Fluggesellschaft immer in der Mitte eines in alle Richtungen ausstrahlenden Netzes. In gleicher Weise sah mein Geschichtsunterricht in der Schule aus. Alles drehte sich zunächst um meinen Schulort, dann um die Schweiz, dann um Europa. Hier waren die zentralen Handlungen angesiedelt, hier wurde die Welt auf unserem Planeten gestaltet.

Frankopan sieht es anders. Es waren der Nahe Osten und der Mittlere Osten, die «Geschichte machten». Europa war Mit- und Nachläufer. Die Wiege der Zivilisation liegt nicht im antiken Europa, sondern zwischen Mittelmeer und Indien, vielleicht noch darüber hinaus auch in China. Die Seidenstrasse transportierte nicht nur Gewürze, Stoffe, Kulturgüter und Sklaven hin und her, sondern auch Bestandteile von Religionen, inklusive des Christentums. (Im englischen Original heisst das Buch denn auch «The Silk Roads».)

Auch in der jüngeren Geschichte war der Einfluss jener Region auf historische Entscheidungen in Europa sehr gross. So lernt man, dass die Briten ihr Eingreifen in den ersten Weltkrieg stark mit ihren Interessen in Indien und Afghanistan verbanden. Dieses koloniale Schachbrett wird in den üblichen historischen Abhandlungen zumeist übersehen.

Viel Raum nimmt im Buch auch die jüngste Zeit, jene der letzten vierzig Jahre ein. Kuweit, Irak, Iran, Afghanistan – kriegerische Auseinandersetzungen unter Beteiligung europäischer und US-amerikanischer Truppen - erzählt aus der Sicht jener Länder vernimmt man es anders als bei uns in Europa. Man muss mit dem Autor natürlich nicht in allen Punkten einig gehen, vor allem nicht bezüglich der zukünftigen Bedeutung von Öl und Gas aus jenen Regionen, welche nach Meinung Frankopans zu Machtverschiebungen im globalen Kontext führen sollen. Andere Faktoren sind wohl stärker im globalen Wettbewerb um Einfluss: Bildung, Information, Kommunikation, Technologie, Innovationen, Demokratie und wissenschaftlicher Fortschritt – und diese gehören eindeutig nicht zu den Stärken des Nahen und Mittleren Ostens.

Und trotzdem: Die historischen Traditionen und Ereignisse im Iran und anderen Ländern sollten nicht übersehen werden, wenn man deren aktuelles Handeln verstehen will.