Neues Jahrzehnt – Zeit für Ängste?
Der Präsident des Rotary Clubs St. Gallen hat in seiner traditionellen Neujahrsansprache auf die zahlreichen Gefahren, Krisen, Problemherde und Unsicherheiten hingewiesen, die zu Beginn der Zwanzigerjahre offenkundig sind. Unter den zwölf namentlich genannten Problemen durfte natürlich der Klimawandel nicht fehlen, der durch die grossen Brände in Australien eine besondere Aktualität bekommen hat. Verschuldung von Staaten, Negativzinsen, kriegerische Ereignisse im Nahen Osten, Handelskonflikt USA-China, Brexit, Cyberangriffe, unkontrollierte Migration, Terrorismus, Soziale Unruhen sind alles Fakten, die in dieser kurzen Rede erwähnt wurden. Die Corona-Virus-Krise wurde nicht genannt, sie erschien erst einige Wochen später auf dem Radar der Öffentlichkeit.
In den letzten Wochen habe ich Geschichtsliteratur über die Zeit von 1750 bis 1920 gelesen, über die Probleme und Ängste der damaligen Zeiten. Sie waren nicht geringer, wenn man an die Missernten vor 1789 denkt, an die darauf folgende Französische Revolution mit Auswirkungen auf ganz Europa, an die napoleonischen Kriege, an den Tambora-Vulkanausbruch von 1815 mit der grössten Hungersnot in Europa des 19. Jahrhunderts als Folge (allein im Kanton St. Gallen gab es im Jahre 1816, dem Jahr ohne Sommer, mehr als 500 Hungertote), an die Willkür der Herrschenden, die vielen gewaltsamen Revolutionen bis 1848, die grossen politischen Veränderungen jener Zeit, die industrielle Revolution infolge des Maschinenzeitalters, die radikalen wirtschaftlich-sozialen Umbrüche als Folge von Erfindungen – z.B. die Synthetisierung von Farben durch BASF mit negativen Auswirkungen auf die Landwirtschaft, welche zuvor die natürlichen Grundstoffe für die Farben lieferte -, die über sechzig gezählten Kriege in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, den Ersten Weltkrieg, die Spanische Grippe mit Millionen Toten, usw.
Die Welt ist ein unsicherer Ort. Keine Neujahrsansprache der letzten 250 Jahre hätte weniger Gefahren aufzählen können als jene zu Beginn des eben begonnenen Jahrzehnts – ja meistens waren die Unsicherheiten grösser oder subjektiv gravierender.
Kürzlich fiel in einer Diskussion der Satz: Was wir schon geleistet haben, wird unterschätzt, und was wir noch zu leisten haben, wird meistens überschätzt.