Zeitgeist mit Folgen

Mein persönlicher Rückblick auf den Zeitgeist der sieben vergangenen Jahrzehnte lässt sich verkürzt so zusammenfassend formulieren:

Die fünfziger Jahre waren dominiert vom Wunsch nach Wohlstand. Man arbeitete dafür 45 bis 48 Wochenstunden, der Jahresurlaub beschränkte sich auf zwei Wochen.

In den sechziger Jahren stand die individuelle Mobilität weit oben auf der Themenliste, also die Automobilität. Mit der Pille kam die sexuelle Revolution. Die Haushalte wurden «motorisiert» und modernisiert mit maschinellen Hilfsmitteln. Die «Achtundsechziger» veranstalteten die Begleitmusik.

Die Siebziger wurden von zwei Erdölkrisen geschüttelt und brachten das Energiesparen auf die Bühne der Aufmerksamkeit. Dazu ängstigte die sehr hoher Inflation die Menschen. Das Reisen kam gross in Mode. Damit waren die wichtigsten Themen der öffentlichen Diskussion gesetzt.

Das Jahrzehnt der Achtziger ist mir in Erinnerung als Zeitenwende des Kalten Krieges. Der Mauerfall und die Deutsche Wiedervereinigung gaben dazu den Höhepunkt, der Zerfall der Sowjetunion in den ersten Jahren der Neunziger machte die Fortsetzung. Der US-Präsident Ronald Reagan und Englands Margrit Thatcher setzten liberale Akzente und brachten damit ihre Länder «back to work».

Das letzte Jahrzehnt des Neunzehnten Jahrhunderts war sichtbar geprägt von der beginnenden digitalen Revolution: Computer wurden beruflich und privat mehr und mehr genutzt, Mobiltelefone ebenso, das Internet und E-Mail kamen in Gebrauch, weltweite Reisen wurden kostengünstig und beliebt. Der Zeitgeist hiess Technologie und Globalisierung willkommen. Die Dot.com-Blase machte die Kapitalanleger schwindlig.

Die Nullerjahre führten zu einem breiten Einsatz der digitalen Technologien im Privaten wie im Beruf. Soziale Netzwerke kamen auf, ebenso aber auch der Terrorismus (9/11), die Dot.com-Blase platzte, und aus den USA heraus entwickelte sich eine Bankenkrise.

Und die Zehnerjahre: Social Media, Smartphone, illegale Migration, Umweltschutz, Populismus, Datensicherheit, Chinas Bedeutung für die Welt, Gleichberechtigung, Negativzinsen, America first, Vegan, Eurorettung, Corona-Pandemie - ein bunter, heterogener Strauss von zeitgeistprägenden Agenden.

Und nun, zu Beginn der Zwanzigerjahre ist der Zeitgeist geprägt von Themen wie: Gleichstellung, Quoten, Gender, grün, links, woke, sozialer Ausgleich, soziale Gerechtigkeit oder sogar soziale Gleichheit, Diversität, Solidarität, Teilzeit, Elternzeit, Jobsharing, Political Correctness, Identität, Inklusion, soziale Medien, Klimaschutz, zivilreligiöse Aktivisten, Cancel Culture, Umdenken, Elektromobilität, Alarmismus, NGO, mehr Staat. – Negativ besetzt sind Themen wie Leistung, Fakten, Nation, Marktwirtschaft, Konzern, wirtschaftliche Macht, Eigenverantwortung, selbstverdientes Geld, Haushaltarbeit, Hausfrau, Liberalismus, Rasse, Elite, weisser alter Mann. - Welche Themen sich nachhaltig durchsetzen werden, ist ungewiss. 

Was sind die bereits heute absehbaren Folgen des aktuellen Zeitgeistes? Es gibt mehr Umverteilung, mehr Kollektivität, mehr leistungsfreie Berufe ohne Wettbewerb, Einschränkungen der Denk-, Sprech- und Handlungsfreiheiten, Aufhebung von überholten Regeln des Zusammenlebens, neue virtuelle Themengemeinschaften mit Zugehörigkeitsnutzen für ihre virtuellen Mitglieder.     

Die Medien veranstalten Panikorchester, transportieren links-durchgrünten Hypermoralismus, haben wenig gegen tyrannische Ideologien, die in ihrem Mainstream liegen.

Was und wem nützt es, schadet es? Wir wissen es in zehn Jahren, wenn wir den Massstab anlegen können an den Schutz unserer Natur und dabei auch des Klimas, an den Wohlstand und dessen Verteilung, an die individuelle und kollektive Freiheit und Sicherheit, die Infrastruktur, das Gesundheitswesen, die Bildung, die kulturellen Leistungen. Der Zeitgeist der vergangenen Jahrzehnte wurde wohl von den jeweiligen Umständen stark beeinflusst, hat aber auch viel beigetragen zu den fortschreitenden zivilisatorischen und kulturellen Errungenschaften. Die Natur wurde indessen zu wenig geschützt.